oder: „Kulturelle Seepartie“ mit MY 'Nordlicht II' (Hamburg)
von Jörg W. Ziegenspeck
Dieser Törn war so ganz anders als jene Reisen der vergangenen Jahre. Nicht nur, dass die Temperaturen verrücktspielten und viele Wochen lang die Sonne ununterbrochen schien und kaum ein Regentropfen vom Himmel fiel, nein, auch die Planung folgte ganz anderen Vorgaben. Nachdem Gisela und Jörg W. Ziegenspeck in der Vergangenheit für Verwandte und Freunde in den Sommermonaten nur schwer „greifbar“ waren, weil ständig und monatelang unterwegs, entschloss sich das Ehepaar, in diesem Jahr (2018) das soziale Netz erneut enger zu knüpfen und familiäre Präsenz zu zeigen. So folgte man Einladungen, Treffen. Festen und Feiern, wodurch ein Sommertörn notwendigerweise zeitliche Zäsuren bekam. Im Rückblick stellten beide dankbar fest: abgeschrieben waren sie weder from the members of the family noch von Freunden und Bekannten. In so mancher fröhlichen Runde fühlten Gisela und Jörg W, Ziegenspeck sich gut (und wieder) aufgehoben und – nach wie vor – wohltuend integriert.
Es ist schon wahr, die Seefahrer hatten sich in den vergangenen Jahren rar gemacht. Ferne Küsten lockten, die Neugier auf das bislang Unbekannte bekam immer wieder die Oberhand, sie mussten also raus und sich den Wind um die Nase wehen lassen (im wahrsten Sinne des Wortes). Die „Pensionistenzeit“ war geradezu dazu angetan auf- und auszubrechen. Noch waren beide gesundheitlich stabil, vital und bereit, sich den Herausforderungen, wie sie von der Natur, dem Leben und dem Reisen nun einmal gestellt werden, interessiert und mit wachem Bewusstsein zu stellen. In jedem Winter wurden Pläne geschmiedet, war die
Sehnsucht, neue Horizonte zu entdecken, stimulierend, um konkrete Ziele zu bestimmen.
Als Jörg W. Ziegenspeck sich – nachdem der Bericht über „Rund England“ (2016/2017) abgeschlossen war – daran machte, eine „nautische Bilanz“ zu ziehen, war man selbst mehr als überrascht, was sich da im Ergebnis offenbarte: Seit 1989 war das Ehepaar mit Freude und Gewinn insgesamt ca. 1.850 Tage an Bord ihrer Schiffe (sprich: 264 Wochen oder 66 Monate oder 5 ½ Jahre) unterwegs gewesen – eine wahrlich stolze Leistung. Nie hatten beide den Anspruch, in irgendein „Guinness-Buch der Rekorde“ zu gelangen, freuten sich gleichwohl über diverse Auszeichnungen, mit denen die seglerischen Leistungen im Rahmen von Fahrtenwettbewerben des „Deutschen Segler-Verbands e.V.“ (DSV) und später auch des „Deutschen Motoryachtverbands e.V.“ (DMYV) wiederholt ausgezeichnet wurden. Das Wichtigste war ihnen allerdings, auf außergewöhnliche und einzigartige Art und Weise Menschen und Länder kennenzulernen. Was sie da in ihren Seesäcken heimbrachten, wurde zu einem kostbaren Schatz, wie den jeweiligen Fahrtenberichten (die im Ziel Verlag Augsburg veröffentlicht wurden) zu entnehmen ist! Von diesem „Proviant“ kann wohl auch im Alter reichlich gezehrt werden. Und dass sowohl Gisela Brehmer-Ziegenspeck als auch ihr Mann ihrer Verantwortung während der Berufstätigkeit nur halbherzig entsprochen hätten, wird wohl keiner behaupten. Auch danach hatten sich beide nicht „ausgeklinkt“, wohl aber ihr Engagement auf wenige Bereiche konzentriert.
In diesem Sommer also einmal alles ganz anders: ohne festes Ziel und in mehreren zeitlich überschaubaren Abschnitten. Der Nahbereich, der in jungen Jahren Urlaubsfreuden bescherte, wurde Mittelpunkt der Aktivitäten: die deutsche Küste und der Süden Dänemarks. Viele Inseln, Ankerbuchten und Häfen sah das Ehepaar nach Jahren wieder und staunten nicht schlecht, was sich dort inzwischen getan und verändert hatte.
Zudem war das anhaltende Hochdruckgebiet, das ganz Europa 2018 in seinen heißen Griff genommen hatte, wenig dazu angetan, Gewalttouren zu unternehmen. Viel lieber gingen man mit MY ‘NORDLICHT II‘ vor Anker, ließ man nicht nur die Seele, sondern auch die Füße ins kühlende Nass baumeln.
Gisela Brehmer-Ziegenspeck fand es toll: Leben im Hier und Jetzt. Sie verschlang ihre mitgenommenen Bücher, vertiefte sich in Unterlagen zur Familiengeschichte und sorgte für das leibliches Wohl der Crew. Sie genoss es zudem sehr, dass der „Vorleser“ das ihm anvertraute Buch akzeptierte und daraus – Kapitel für Kapitel – rezitierte. Am Ende waren es über 1.000 Seiten, die Marcel Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschrieben hatte.
Für Jörg W. Ziegenspeck war es eher gewöhnungsbedürftig: kein Plan, kein Ziel, keine darauf ausgerichteten Aktivitäten. Doch mit der Zeit freundete auch er sich mit dieser Art des Reisens (und des Bordlebens) an. Mit viel Zeit und Muße ist dem entsprechend deutlich veränderten Bordbetrieb durchaus etwas abzugewinnen. Ein schwerkranker Kollege und Freund hatte dem Ehepaar bei einem Besuch gesagt, dass letztlich am Ende des Lebens nur zwei Dinge bleiben: das Erinnern und das Nachdenken. Nach der Heimkehr vom Sommertörn waren beide sich sicher, ihn richtig verstanden zu haben.
In zeitlich drei Abschnitten waren wir auf der Ostsee unterwegs:
Reiseabschnitt I: An die Küste Mecklenburgs nach Timmendorf/Poel und Wismar.
- An 10 Reisetagen wurden 88 Seemeilen zurückgelegt.
Reiseabschnitt II: Von Schleswig-Holstein (z.B. Großenbroder Binnensee, Orther Bucht/Insel Fehmarn) nach Süd-Dänemark (u.a. Langeland, Ærø, Strynø).
- An 9 Reisetagen wurden 180 Seemeilen zurückgelegt.
Reiseabschnitt III: Von Deutschland nach Dänemark (u.a. Falster, Lolland, Flatø, Fejø, Femø, Tærø, Møn, Nyord, Seeland).
- An 52 Reisetagen wurden 306 Seemeilen zurückgelegt.
Mit vielen farbigen Illustrationen und sparsamen Anmerkungen werden die Reiseabschnitte skizziert, wobei dem dritten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dem Autor ist es dabei wichtig, dass die Leserin bzw. der Leser etwas vom Bordleben, von der Atmosphäre, den Reiseabläufen und der Vielfalt der zu gewinnenden Eindrücke nachempfinden kann.
Zum Glück sind Gisela und Jörg W. Ziegenspeck nicht (bewegungs)faul, so dass zu Fuß oder mit unseren Klappfahrrädern viele Ausflüge gemacht werden konnten. Wasserwandern und auf Schusters Rappen unterwegs zu sein, bringen Spaß und sind gesund. Nur so konnten fremde Dörfer und Städte, Museen, Ausstellungen und Kirchen besucht werden und schufen kulturell Anregungen und Bereicherungen. – Es ist schon etwas Besonderes, Land und Leute von See her kennenzulernen.
Insbesondere aber sind es die Begegnungen mit Menschen, die beglücken. Und so traf man alte Freunde wieder und knüpften neue Bande zu interessanten Zeitgenossen an. Wie gut, dass die verständlichen Ressentiments der Dänen gegen die Deutschen inzwischen deutlich abgeebbt sind und die Kommunikation nicht mehr zum sensiblen Drahtseilakt wird. Man guckt sich in die Augen und weiß, mit wem man es zu tun hat.
Reich beschenkt und mit neuen Erfahrungen kehrten beide Seefahrer im Spätsommer des Jahres heim.